Es war einmal..und es ist.

Eine Erzählung (lateinisch narratio) ist eine Form der Darstellung. Man versteht darunter die Wiedergabe eines Geschehens in mündlicher oder schriftlicher Form. Sowohl den Vorgang des Erzählens, als auch dessen Ergebnis, eine Geschichte im Sinne des englischen Begriffs story, nennt man Narration. (..)Die Gesamtheit jener merkmalbildenden Eigenschaften, die den Akt des Erzählens als Erzählen kennzeichnen, wird Narrativität genannt (..) Sie besteht einerseits darin, dass Geschehnisse in einen mehr oder weniger bewertenden Bezug zu Zeit und Raum gesetzt werden oder diesen zeiträumlichen Rahmen überhaupt erst erzeugen (..), und andererseits darin, dass im Akt des Erzählens die Art und Weise des Erzählens sinnkonstitutiv ist für den Inhalt der Erzählung. (..) Eine Minimaldefinition von Erzählung ist: Jemand erzählt jemand anderem, dass etwas geschehen ist. (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Erzählung)

Es gibt in uns in so vielen Ritzen und Spalten und unbekannten Räumen, Bruchstücke dessen, was erzählt werden soll. Manches in uns hat vieles gesehen oder nur den einen Moment immer wieder erlebt. Und dann sind da noch die diversen Gebote des Schweigens und nicht Wahrnehmens.

Und nun ringen wir um Worte, die wir nur schwer finden, zeichnen Umrisse und erkennen erst viel später die Wände und Tische und vertrauten Konturen eines Raumes. Wir lassen alles zu in uns, was in Erinnerung an diesen Raum sich finden lässt, konstruieren aus kalten Bodendielen und ätzendem Geruch in der Nase einen kleinen Teil Wahrheit. Früher hätten wir nicht gewagt, so kleinen Details Zeugenschaft zuzutrauen. Jetzt fügen wir sie wie winzig kleine Splitter ineinander und spüren an den Schnitträndern ein ziehen und würgen in uns.

Wir lassen den Stift über Papier kratzen, halten sein Antlitz in den Händen. Falten es fast vorsichtig, um dieses wiedergefundene Erkennen nicht zu zerbrechen.

Wir liegen ganz still, nicht nur weil wir uns gerade sowieso in diesem freeze-Zustand nicht bewegen könnten, sondern weil wir einmal den Mut haben, den verdrehten Körper zu betasten:
Die Hände fühlen sich an wie von Metallbändern gefangen, die Schultern schmerzen, als würde der ganze Körper an den Armen hängen. Der Unterleib scheint aufgespießt. Die Beine sind gespreizt, als hätte jemand sie mit Keilen nach rechts und links getrieben.
Wir vergegenwärtigen uns dieses fühlen des ausgeliefert sein – für einen kurzen Moment – bin ich – traurig.

Wir ringen auch um Worte um Denen und uns die Masken abzustreifen.

Denn die Täter, die niemals Masken trugen aber uns dazu zwangen, den Kopf zu senken, die Sprache verboten und das Sehen. Sie maskierten damit dann doch jeden von ihnen. Und jeder Schlag und jeder Schmerz, der noch mehr Splitter erzeugte.

Und heute: Sind wir Opfer, voller Scham. Maskieren uns. Um unerkannt zu sein und nicht wieder ausgeliefert den Definitionen und Zuschreibungen und Erwartungen an unser Opfer sein.

Wir tragen die Masken die die Täter uns gaben um uns zu schützen vor denen, die die Täter nicht kennen gelernt haben. Absurd? Ihr wollt unsere Worte und manche von euch zermalmt diese, weil sie ihrer Definition des von uns Erfahrenem nicht entsprechen.

Und trotzdem wollen wir weiter Worte suchen und finden. Wir wollen verstehen und verstanden werden.

Es gibt nur selten Wiedererkennbares. Wenn, dann zu oft in Form von Abendunterhaltung, Nachrichten aus so scheinbar fernen Kriegsgebieten, Bildschlagzeilen oder feministisch verkleideten Zuweisungen.
Doch wonach wir suchen sind die stillen, fast unscheinbaren Zeugen und Abbilder und Anzeichen der Gemeinschaft mit anderen, die betroffen waren, Opfer wurden, erleben mussten, wie andere voller Gewalt sie genommen haben.

Es mag kaum darstellbar sein, vielleicht auch unvorstellbar für manche. Aber wir müssen nichts erfinden. Nur ein Wörterbuch schreiben das Wörter enthält die schon Geschehenes beschreiben und eine Tür, vielleicht auch viele Türen öffnen, durch die es Teil unserer Geschichte werden darf.

Immer wieder verlieren wir uns in diesen Versuchen, finden wir uns in angstvollem Schweigen oder losgelösten Gefühlen und Depressionen wieder. Mögen nicht weiter graben und kratzen und rechtfertigen und kämpfen.

Aber inzwischen ist im Innen vieles nicht mehr aufzuhalten, sucht es sich Ritzen und Spalten lässt nicht locker im Versuch, erzählbar zu werden.

Der Versuch der Narration, wir müssen ihn nicht rechtfertigen. Es ist nichts anderes, als uns das anzueignen, was andere schon wissen, weil sie die Täter waren oder Zeugen oder Nachbarn oder von allem etwas.

Es gibt, inzwischen, neue Zeugen, die nicht schweigen, nicht zusehen, nicht weggehen. Die uns einen sicheren Rahmen und Raum bieten für die Suche nach Worten, die anwesend bleiben, sich an die Seite stellen, auch mal aus-halten. Ohne diese Zeugen wäre es schwer, unserem Erzählen einen Kontext zu geben.
Ein: es war einmal.. und es ist.

4 Kommentare zu “Es war einmal..und es ist.

  1. Hallo Renée,
    gute Worte für etwas, was eigentlich nicht sprech.bar ist – voller Mut.
    Wir fühlen sehr oft diese Absurdität – gefangen in einer Gesellschaft, die in bewussten und unbewussten Täterstrukturen lebt – und in der wir nur Schutz erfahren, wenn wir mitspielen – mit neuen Masken.
    Wir wünschen euch Kraft auf eurem Weg.
    liebe Grüße zwischens

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  2. „Der Versuch der Narration-wir müssen ihn nicht rechtfertigen.“
    Das ist Richtig!
    Ausdruck lindert Druck
    Und es ist Dein Recht; das für Dich zu nutzen und wie und wo und mit welchen Mitteln auch immer dem, was innen drängt und vielleicht drückt und Raum will, diesen zu verschaffen.
    Einfach gehen und immer weitergehen!

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