brust, weiblichkeit und sexualobjekt

wir verstehen uns als non- binär. die auseinandersetzung mit diesem thema war lang und ist nicht abgeschlossen. bedeutet auch um einiges mehr als nur geschlechtliche zugehörigkeit. ist für uns teil von identität, selbstbewusstsein und eigenem verständnis wer wir sind. als wir das erste mal in eine welt eingetaucht sind, in der sexuelles und wahrgenommes geschlecht veränderbar war, hat es uns irritiert, das im ausland gekaufte hormone und op‘s in muffigen, lonoliumverklebten krankenhäusern etwas ändern könnten an unserer angst vor dem körper. der wechsel des geschlechts fühlte sich falsch an und weniger stimmig als auf frauenparties der tür verwiesen zu werden, weil zu männlich wirkend. dem folgten viele jahre wo wir körper, gender und alles was dazu gehört links liegen gelassen haben. die dis-diagnose warf fragen auf nach der geschlechtswahrnehmung im innen und dem wieviel es eine rolle gespielt haben könnte, als mädchen geboren worden zu sein. wir tragen kleider und hosen und nagellack und base-caps und sind raus aus der gesellschaftlichen geschlechterdisskusion. wir sind wir und das ist auseinandersetzung genug.

erst mit dem immer häufiger in unserem umfeld zumindest, auftauchenden begriffen wie gender, normativen geschlechtszuordnungen, trans* , non-binary.. (usw.) wird uns die eigene gender-frage wieder bewusst. es gibt ein gegenüber im außen, mehrere termine mit intensiven gesprächen, eine entscheidung gegen eine weitere transition, eine entfernung der brüste oder weitere eingriffe, selbst hormoneinnahme fühlen sich nicht passend an. wir verlassen den letzten termin mit einer klaren entscheidung für uns: keine verändernden medizinischen eingriffe am körper, dafür aber ein sehr klares entziehen den bisherigen zuweisungen zu einem geschlecht. die selbstwahrnehmung als non-binär. wir stehen dazu im alltag, in jeder geschlechterdiskussion, in auseinandersetzungen im innen. und sind uns sicherer den je, gender und gewalterfahrungen haben viele verknüpfungen erfahren und dennoch ist unser heutiges selbsterleben nicht das ergebnis dieser gewalt. nicht mehr und für uns nicht. das mag für andere und selbst für uns auf anderen ebenen ganz anders sein.

und dann kommt die brustkrebsdiagnose. ausgerechnet. dieser teil vom körper. und na klar die frage, was wäre wenn. was wäre, hätten wir uns für die brustambutation im rahmen einer transition entschieden? vielleicht hätten der krebs sich dann woanders im körper angesiedelt.

und jetzt mit der diagnose ist es dieses geschlechtszuweisende organ, für das wir uns mit 8 schon beim schwimmunterricht geschämt haben, das teil von vielen fiesen fladhbacks ist, jetzt ist es der körperteil, der krank ist und für den wir ne menge tun müssen. unsere brust wird zum ersten teil unseres körpers der allen schutzes vor altem und neuen schmerz bedarf, wegen dem wir aushalten, das viele fremde menschen untersuchen, operieren, anschauen, ein port in der gesunden brust drohnt. jeder plötzlich weis, das wir ein (öhm zwei) brüste haben. und wir empfinden nichts sexualisiertes dabei. und sind erleichtert darüber. sie ist einfach ein teil von uns. obwohl wir dennoch den chirurgen, der den faden aus der op-narbe ziehen soll, kaum aushalten. viel zu nah und viel zu viel an unserem körper.

hätte mit jemand vor einigen wochen gesagt, das ich einen blogtext schreiben werde über meine brüste, ich wäre wohl peinlich berührt gewesen, das überhaupt jemand annimmt, das ich solche teile habe. ich hätte mich sexualisiert gefühlt, in meinen grenzen verletzt, unangenehm berührt. das knotendings macht diesen teil des körpers zu meinem und unserem und sexualisierung kommt darin nicht vor.

chemo die erste

alle diese termine sind ziemlich früh und mit anfahrt stehen wir gestern immerhin erst um acht vor der tür. wach seid halb fünf, mit dem hund draußen gewesen, tasche von 4 tagen ostsee ausgepackt, rucksack mit allem von der vorbereiteten liste für den chemo-tag eingepackt. sitzen im auto neben unserer therapeutin , kopf leer. manches vorbesprochen: zum wirklich vorbereiten blieb kaum zeit. diagnose und die letzten 4 wochen sind belastung für sich. für uns der ganze medizinkram ziemlich triggernd, manches noch im auto gar nicht vorstellbar. innen versucht zu vermitteln, wofür das heute wichtig ist und die letzten tage am meer sitzend versucht eine innere haltung zu dem jetzt zu finden.

wir wussten vorher nicht, was zu“krebs und chemo“ dazu gehört. fängt alles an mit dem (in unserem fall) gyn-termin. sie findet den knoten im stehen nicht und wir sagen nochmal: im liegen gut tastbar. da findet sie ihn dann auch und beim ultraschall nach einer weile auch genug gründe, uns an ein brustzentrum zu überweisen. wir brauchen zwei tage bis wir da anrufen und dann nochmal ein woche, bis zum termin. wir sprechen im unfeld noch wenig darüber. gibt genug alltagskram. dann mit begleitung sitzen wir vor der ärztin und diese bestätigt, das auch ihr super-ultraschall den verdacht bestätigt. also gehen wir noch schnell zur mamographie, halten die Biopsie aus und taumeln mit zwei überweisungen zum ct und zur knochenzintigrafie aus der tür. ausbreitungsdiagnostik. das wort hämmert uns tagelang durch den kopf. zwei wochen bis wir die termine hinter uns haben, eine tumorkonferenz an der wir nicht teilnehmen (müssen) aber die behandelnden ärzte und ein termin in woche drei wo uns ergebnisse und behandlungsplanung erwarten. wir sind angespannt, megaangespannt, geschockt, zwischen hochfunktional und es geht gar nichts. der arzt bei der knochenzintie ruft sein erleichterndes ergebnis in den raum wo wir auf dem rücken unter einem riesigen gerät liegen, das die aufnahmen macht. überhaupt machen wir in diesen tagen ständig dinge, die eigentlich nicht gehen. aber wir sind bei keinem termin allein. und so „lost“ wir uns auch fühlen, spüren wir diese anwesenheit, den halt, das uns gegenüber sein. freuen uns über sprachnachrichten von freundinnen die wir in doofen momenten hören, fangen an darüber zu sprechen, was gerade ist, bekommen nach und nach unsere gedanken sortiert.

am ende der woche vier sitzen wir am meer. vorher haben wir montagmorgen ein vorgespräch für die port-op, am nachmittag einen termin im studio für das perückendings ( bekommt einen eigenen Beitrag), dienstagmorgen die port-op und am nachmittag das chemo-vorgespräch. mittwoch gehen wir morgens zur zweitimpfung und danach in die arbeit. dort gibt es auch noch manches zu klären. die erste chemo fällt in woche 5 seit der diagnosestellung. chemo ist eine menge zeug das in 5 stunden aus verschiedenen beuteln in den körper läuft per infusion. zwei gegen das knotendings, etwas zum „besser fühlen“ und mehrere beutel gegen nebenwirkungen. auf die warten wir jetzt um kennen zu lernen was chemo mit unserem körper machen wird. außer dem haarausfall.

wir lesen ab und zu texte, blogs von anderen, lesen dort viel darüber mit einer solchen diagnose „plötzlich„ ein lebensveränderndes thema zu haben, von einem neuen ich, innerem wachstum. und für uns? vieles davon unbekannt, weil es bisherige strategien im umgang mit traumafolgen nicht nutzen lässt ( es ist vorbei vrs. es fängt gerade erst an) und dann wieder doch, jahrelange skillübungen kommen im hirn zum vorschein und werden verändert, angepasst, verworfen, neu ausprobiert. traumamaterial ist einfach da, braucht umgang. wie trauen uns zu sagen: mit der krebs-diagnose haben wir plötzlich ein „normales“ problem. doch es ist held*innen – haft, darüber zu sprechen, damit umgehen zu müssen? viel held*innenhafter als unser jahrelanger umgang mit trauma-folgen. jedenfalls für andere. für uns..? wir haben uns vorgenommen mit beiden seiten zu sprechen, denen einen zu zeigen was trauma und z.b. eine notwendige krebsbehandlung bedeuten und mit den anderen darüber, dass das mantra: die bedrohung/ das trauma ist vorbei, nicht verhindert, das andere neue herausforderungen dazu kommen können und umgang brauchen. und wir wissen, wir sind nicht allein. andere haben diese oder noch ganz andere „normale“ diagnosen. nur finden wir kaum artikel oder nur hinweise auf den umgang von komplexen traumafolgen mit alltagsherausforderungen die aus medizinisch schweren diagnosen entstehen.

so, weiter geht‘s

die situation hält ein ganzes potpourri an themen, emotionen und problemlagen bereit.

den vogel abgeschossen hat wohl der orthopäde, welcher die antwort:“ein neues physiorezept“ auf seine frage:„ was er noch für uns tun könnte?“ mit „nein, also ein tumor in der brust, das schließt physiotherapie aus“ beantwortet. häää?!?? er deutet dabei mit den fingern eine rückenmassage an. doppelt häää?!?!? der rücken ist hinten, der tumor vorn und überhaupt, die notwendigkeit der physiotherapie hat so gar nix mit dem knotendings zu tun, sondern mit traumafolgen. und von: „ich tausche knotendings gegen traumagedöns!“ war auch nirgens die rede. wir halten stand und gehen doch mit einem rezept, davon sind 3 termine allerdings schon aufgebraucht, bevor wir es überhaupt bei der physio abgeben. und nochmal der versuch, irgendwo in dieser stadt einen orthopädiemenschen zu finden, der traumasensibel ist. ( hilfteiche hinweise gern per mail an uns).

dann wären da noch die themen: „und plötzlich alles anders“, „krebs und trauma“, „viele-sein und und krebsbehandlung“, „hilfe brauchen und annehmen, wenns kaum zeit ist sich mit allen: „aber, dennoch‘s, kann ich nicht und anderem quirks“ auseinander zusetzen, wie im innen sinnvoll vermitteln, was gerade passiert und sich zu oft ziemlich nicht-selbst-bestimmt anfühlt, „identitätserleben vrs. chemo und haarausfall vrs. dissoziative identitätsstruktur“ , „arbeiten und belastungsgrenzen“ , „nahe menschen, soziales umfeld, unterstützungsnetzwerk, grenzen und quirks“, das „tut mir leid – sätze“ thema und öhm.. bestimmt was vergessen, aber das macht nix.

zumindest für die „innen“frage und überhaupt fürs irgendwie verstehen-finden haben wir eine idee entwicklet. zuallererst: es ist kein spiel, das ist uns sehr klar. aber um irgendwie etwas zu finden wie wir es schaffen uns zu orientieren, zusammenhänge und perspektiven zu erfassen stellen wir uns das ganze wie ein imaginatives computerspiel vor. alles ist schon da, wurde in seinen grundzügen schon definiert. es gibt zusammenhänge, abhängigkeiten und sich bedingende „spielzüge“ die festgelegt sind. dennoch gibt es handlungsoptionen, wahlmöglichkeiten und entscheidungen, die wir treffen können und die einfluß nehmen auf den weiteren verlauf. und akteure, die zusätzlich „im spiel“ sind, mit denen wir zusammen arbeiten können, die eigene „spielkonfigurationen“ haben und auch eigenständig agieren können. alles zusammen macht das ganze dreidimensional, vorstellbar und erfassbar, gibt kontexte wieder und lässt mögliche handlungsverläufe zumindest bis zu einem bestimmten punkt sichtbar werden. (wenn du am wunderbaum links abbiegst, gehst du dem missmutigen einhorn rechts aus dem weg, landest aber im dornenstrauch der selbstzweifel. um mit dem klarzukommen, brauchst du die klarheit schaffende heckenschere, die dir die das eichörnchen am fliederbusch in level 2 geschenkt hat)
legen wir mal fest, wir sind also inzwischen in level 3, verstehen langsam, welche „mitspieler“ es gibt, wie in etwa die grundspielregeln sind und welche „dinge“ es unterwegs einzusammeln gilt. ab und zu werden, wie bei jedem guten computerspiel, kleine infotexte eingeblendet und es gibt natürlich versteckte hinweise und zusatzausrüstung, die nicht immer leicht zu finden sind. (woher soll man auch wissen, das die knurrige eiche am himbeerbach wenn man um sie herumläuft auf der rückseite genug platz bietet, um mal durchzuatmen und in einem hohlraum ne softeismaschiene versteckt ist?)

level 3 ist noch etwas unberechenbar. level 4 (beginn bis ende chemo) wird etwas länger, dafür sind die wegmarkierungen dann schon sichtbarer. bis level 3 tauchten die immer erst auf, wenn man an dem entsprechenden punkt vorbei war und level 1 und 2 waren auch eher „jump and run“ versionen. wie schon gesagt, es ist kein spiel, aber uns hilft diese vorstellung, den überblick wieder zu finden und etwas draufsicht.. abstand. und weil schon einmal am tag medis nehmen eine challenge ist, so wie auch täglich genug trinken, selfcare und regenerationskram.. ebenfalls in anlehnung ans computerspiel, haben wir uns eine score-tabelle gemacht, wo tägliche punkte und zusatzpunkte am ende für alle sichtbar machen, was vielleicht noch fehlt. und die liste der zusatzpunkte für selfcare-sachen ist wirklich bunt und lang geworden 😉.

wir haben auch nachgedacht, ob das alles hier in den blog gehört. oder es einen eigenen raum dafür braucht. aber das knotendings wird ja ne weile teil von unserem alltag sein. und wenn es schon der orthopäde nicht verstehen wollte, wird es so sein, dass das traumagedöns und das knotendings eben zusammen da sein werden.