
es gibt nur sehr wenige menschen (4) denen gegenüber ich keine mütze getragen haben in den letzten monaten. mützen sind seid der zweiten chemo meine schutzhelm gegen angestarrt werden und verletzbar sein von außen und einem getriggert sein wenn ich mir selbst des haarlosen schädels bewusst wurde.
jetzt fühle ich den samtigen flaum unter meinen händen. jeden morgen. als könnten haare über nacht wachsen. ich spüre meine hände sanft über das streichen, was ein mensch ganz nah bei mir anfangs mit: „siehst aus wie ein flamingokücken“ kommentierte. und eineinhalb wochen später mit: „jetzt biste nen teenagerflamingo“
nicht bei jeder chemo fallen die haare aus. bei vielen aber schon. und nicht nur die sichtbaren kopfhaare. es ist ein moment wo zumindest für mich, der eingriff den eine krebserkrankung und deren therapie bedeutet, spürbarer wurde. ich mich ohnmächtig fühlte. schutzlos. nah an empfindungen die eng mit früherem erleben verknüpft sind. erdrückt von der notwendigkeit zwischen lebensbedrohlicher gewalt von früher und bedrohlicher erkrankung heute immer wieder zu unterscheiden. es fühlt(e) sich oft an, als müsste ich beidem gleichermaßen aufrecht stehend begegnen. manchmal war_ist dass unglaublich kräftezehrend.
dann habe ich worte von einer person gelesen, die ihre glatze als teil ihrer ritterrüstung als „cancerfighter“ fühlt. das sie stolz ist, diese kämpferin zu sein und genauso auch die glatze trägt. mich haben diese worte einige tage sehr beschäftigt. und heute bin ich dann voller stolz mit meinem teenagerflamingoflaum über den wochenmarkt gelaufen. die blicke der drei frauen an ihrem tisch im café haben mich trotzdem getroffen. aber ich bin ja auch nicht unverwundbar. in keinerlei hinsicht. nur eben ein teenagerflamingo.
nachtrag: eine chemotherapie besteht aus verschiedenen zyklen. der erste enthält oft ein medikament das schnellwachsende zellen angreift: das trifft dann tumorzellen wie eben auch zum beispiel haarwurzeln. dieser erste zyklus war in meinem fall/ ist oft eine mehrstündige infusionsprozedure alle drei wochen. vier mal. dem folgt dann in meinem fall / meistens ein weiterer zyklus von wöchentlichen infusionen über mehrere stunden bis zu zwölf mal. also für drei monate. jeder dieser chemotage ist unglaublich anstrengend.schmerzen, übelkeit, erschöpfung. in den tagen danach eine immer wieder andere abfolge von nebenwirkungen. für mich waren die schlimmsten heftige übelkeit während des ersten zyklus, entzündungen im gesamten nasen-rachenraum, gliederschmerzen, schlaflosigkeit. zunehmende neuropathien mit diesem zweiten zyklus. körperliche und psychische erschöpfung. manche nebenwirkungen werden angehäuft mit jeder chemo, manche treten tageweise auf. am schwierigsten ist, das mit dem beginn der chemo der gesamte biologische rythmus des körpers angehalten wird, als wäre der körper vor eine betonwand gefahren. wechseljahresähnliche beschwerden. aber es ist ein großer unterschied ob ein körper in seinem eigenen rhythmus in einen natürlichen prozess der veränderung eintritt oder durch einen eingriff von außen plötzlich angehalten ist in seinem natürlichen rythmus.
die haare sind übrigens weiterhin nicht fest verwurzelt und können leicht wieder ausfallen bzw. bei reibung ( augen wischen, darüber streichen) wieder verloren gehen. und sie wachsen wirklich langsam und auch nicht stetig. vielleicht bleibt es eine ganze weile beim teenagerflamingostatus. aber hey, wer hat schon die möglichkeit ein zweites mal teenager zu sein 😉